Samstag, Dezember 06, 2008

Finanz- und Wirtschaftskrise als Chance begreifen

Nun hat sie uns also erreicht - die Finanz- und Wirtschaftskrise. Politiker bemühen sich um Lösungen. Am Wirtshaustisch wird darüber heftig diskutiert und natürlich polemisiert. Auch mich macht die Entwicklung betroffen. Zwar habe ich für das 2. Semester 2008 schon lange mit einer Abschwächung des Wachstums oder gar einer Rezession gerechnet. Dies aber aus anderen Gründen. Der Wirtschaftszyklus sprach einfach dafür. Den von mir betreuten Unternehmen hatte ich eindringlich geraten, zum Ende des ersten Semesters 2008 die Kriegskasse möglichst gut zu füllen, um danach durch Übernahmen das Portfolio abzurunden. Nun hat sich alles viel dramatischer entwickelt. Die grundsätzliche Stossrichtung meiner Prognosen stimmt zwar, doch Vieles erscheint unter einem ganz neuen Licht.

Ich gehe davon aus, dass wir in den hochentwickelten Volkswirtschaften Europas innovativer Geschäftsmodelle bedürfen, damit wir bei der anstehenden Krise in der Realwirtschaft nur mit einem blauen Auge davonkommen. Dieser Blog stellt eine Zusammenfassung einer Dokumentation dar, welche als Ganzes unter www.wdpmc.ch/docuFachinfo/Krisenmanagement.pdf heruntergeladen werden kann.

Aber nun der Reihe nach:

Die Ursachen der Finanzkrise 2007-2009
sind meines Erachtens die Folgenden:
  • In den USA wurde lange eine Politik des billigen Geldes betrieben, was den Erwerb von Immobilien und Gütern förderte
  • Die US-Finanzindustrie kam ihrer Verantwortung nicht nach und hat Interessenten an Wohneigentum - welche sich dieses nicht leisten konnten - Finanzprodukte angedient (Subprime-Krise). Gleiches trifft für die Verbraucherkredite im Verbund mit Kreditkarten zu.
  • Diese Kredite wurden an Investoren verkauft, danach in komplex strukturierte Finanzprodukte eingebracht, die global vertrieben worden sind. Daraus entstand ein Gemisch aus werthaltigen Assets und Non-Valeurs.
  • Bezüglich der Zusammensetzung dieser strukturierten Produkte haben die Verantwortlichen mangels geeigneter Führungsinstrumente die Übersicht total verloren.
  • Zusätzliche Aspekte wie der Zusammenbruch des Interbankenverkehrs, die „programmierte“ Liquidation von auf Kredit gekauften Wertpapierbeständen beim Überschreiten entsprechender Limiten erwiesen sich als Verstärker.
Wertvolle Erkenntnisse lassen sich aus Simulationen mit einem Modell der Finanzwirtschaft gewinnen:

  • Sind im Modell die Sachwerte eng mit den Finanzströmen verbunden und die Finanzprodukte einfach strukturiert, so verhält sich das Modell bei Einbrüchen recht robust. Die Gefahr des Zusammenbruchs ist gering. Es bedarf starker Schwankungen auf den Finanzmärkten, bis die eingetretenen Vermögensverluste auf die Realwirtschaft durchschlagen.
  • Ist der Anteil an derivaten und verbrieften strukturierten Produkten hoch, dann wird das System anfällig und reagiert überaus nervös. Schwankungen von Werten, welche vorher fast problemlos absorbiert werden konnten, lösen kräftige Wellenbewegungen aus und beeinflussen auch die Nachbarmärkte erheblich. Selbst ohne die als Verstärker wirkenden psychologischen Effekte mitzuberücksichtigen, laufen wir schnell Gefahr, daß das Finanzsystem kollabiert.
  • Steuert man das globale Finanzsystem im Modell bewußt an den Rand eines Kollapses, so laufen sehr schnelle und vor allem enorme Vermögensvernichtungsprozesse ab. Ein Teil dieser vernichteten Vermögen macht sich danach in fehlender Nachfrage in der Realwirtschaft bemerkbar.
  • Läßt man die eingeleitete Konstellation am Rande des Kollapses noch weiter laufen, so treten bald große Vermögensumschichtungen auf. Die Zwangsverkäufe und Zwangsliquidationen werden von den Akteuren mit großer finanzieller Potenz und Liquidität aufgesogen.
  • Läßt man nach einer längeren Laufzeit des Modells im kritischen Zustand durch die entsprechenden Eingaben die Finanzmärkte wieder gesunden, so startet es auf einer wesentlich tieferen globalen Finanzsubstanz - verbunden mit einem geringeren Nachfrageniveau nach Gütern und Dienstleistungen. Die Folge davon ist,daß die Akteure der Realwirtschaft – auf ihren Fixkosten sitzend, vorübergehend tiefrote Zahlen schreiben.
  • Gelingt es, mit den entsprechenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen günstige Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Übertreibungen der Wertberechtigungen nach unten möglichst schnell wieder korrigiert werden, so ist es möglich,daß nach einer relativ kurzen Rezession der Wachstumspfad wieder erreicht wird.
  • Die Nachfrage aus dem Unternehmenssektor bleibt aber für einige Zeit gedämpft. Ein entsprechender Ausgleich der fehlenden Nachfrage durch die öffentlichen Haushalte ist an sich erwünscht. Die Art und Weise der Konjunkturförderungsprogramme ist aber absoluterfolgsentscheidend.

Der Stand der Realwirtschaft

Die Schockwellen aus der Finanzindustrie werden das Konsumverhalten der privaten und öffentlichen Haushalte sowie insbesondere der Unternehmen erheblich beeinflussen.

Faktum ist, daß ein erheblicher Teil der potentiell verfügbaren Kaufkraft per 2008 verloren gegangen ist. Der normale private Konsument ist sachlicher Hinsicht eventuell nur bedingt betroffen – er steht aber in derEinflußsphäre psychologischer Einwirkungen. Er wird dazu neigen, größere Anschaffungen zurückzustellen.

Die heutigen teils dramatischen Rückgänge beim Kauf von Neuwagen sind ein klares Indiz für die eingetretene Situation. Im Bereich der nicht zwingend erforderlichen Neuanschaffungenmuß per 2009 mit Rückgängen von bis zu 30% gerechnet werden.

Die Budgetierung der Unternehmen per 2008 ist von den derzeitigen Rahmenbedingungen stark geprägt. Drastische Sparmaßnahmen bei den Werbeaufwendungen, den Reise- und Aufenthaltskosten, geplanten Informatikprojekten usw. sind die Folge. Die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen wird hier ebenfalls starkrückläufig.

Der Staat läuft nach derzeitigem Wissensstand die Gefahr, auf seinen Unterstützungsmaßnahmen für die Finanzindustrie Verluste von bis zu 50% hinnehmen zu müssen. Dieses Damoklesschwert schwebt die nächsten Jahre bedrohlich über den Köpfen der staatlichen Institutionen.

Es ist daher offensichtlich: nur mit griffigen und vor allem kräftigen Gegenmaßnahmen des Staates läßt sich eine tiefe Rezession per 2009 vermeiden.

Eingeleitete Maßnahmen von Staat und Zentralbanken

Seit Dezember 2007 sind staatliche Instanzen aktiv bemüht, den entstandenen Schwelbrand der Finanzkrise einzudämmen. Die schnelle Reaktion und Bereitschaft der Politik, mit entsprechenden Hilfspaketen einem Zusammenbruch der globalen Finanzsysteme zu verhindern ist positiv zu werten. Die gewählte Stossrichtung ist richtig.

Vom Grundsatz her gibt es bezüglich der Unterstützungs- oder Stabilisierungsmöglichkeiten für die Finanzindustrie die Möglichkeiten einer staatlichen Beteiligung an Unternehmen oder den Weg von staatlichen Bürgschaften, Krediten oder die Übernahme von Risikopositionen usw. Der Weg der EU, die Hilfeleistungen eng mit klar definierten Auflagen an die Bittsteller zu verknüpfen ist zu bevorzugen – wenn nicht gar dringend geboten.

Bei der Schweizerischen Nationalbank wird sich auf Ende des Geschäftsjahres die heikle Frage zu stellen haben, wie der Transfer der Problemkredite derUBS im Umfang von Fr. 62 Mrd. zu bewerten ist. Den Finanzinstituten, welche die staatliche Hilfe beanspruchen, sollte der Anreiz vermittelt werden, durch geeignete Anpassungen der Führungssysteme und gute finanzielle Ergebnisse schnell wieder aus der staatlichen Obhut entlassen zu werden.

Mögliche Szenarien der Entwicklung

Wir haben eine Reihe möglicher Szenarien analysiert. Die markantesten sind dabei:

  1. Die Finanzmärkte fangen sich – die Realwirtschaft erholt sich nach einer kräftigen Rezession 2009 langsam (WS 80%)
  2. Die Finanzmärkte fangen sich – die Realwirtschaft erholt sich nach einer milden Rezession 2009 schnell wieder (WS 15%)
  3. Die Finanzmärkte erholen sich bis Ende 2009 kaum mehr – die Realwirtschaft schlittert in eine tiefe Rezession und verharrt dort bis Ende 2010 (WS 5%)
Wir gehen davon aus, daß Szenario 1 mit einer Wahrscheinlichkeit von 80% eintreten wird. Eine nur milde Rezession erscheint uns wenig wahrscheinlich – ebenso eine sehr schwere, dauernde Krise der gesamten Weltwirtschaft. Dafür sind dieReaktionsweisen der Staaten und deren Notenbanken zu zielkonform und zu gut abgestimmt.

Verschiedene Ausgangslagen für Neustart

Wer nun davon ausgeht, daß man nach dem konjunkturellen Einbruch einfach wieder starten könne wie bisher, dürfte sich täuschen. Zu tief sind nämlich die erlittenen Wunden, um die Geschäfte auf bisheriger Grundlage einfach wieder so hochfahren zu können.

Die Ausgangslage in den einzelnen Weltregionen ist sehr verschieden. Es gibt Regionen und Branchen, wo die Fundamente der Vor-Krisenära noch tragend sind – andere werden jedoch für eine positiveWirtschaftsentwicklung neuer struktureller Fundamente bedürfen.

Gute Praxisbeispiele dazu sind die Finanz- und die Automobilindustrie. Die Finanzindustrie wird gezwungen sein, bezüglich ihrer Produkte wieder näher an die Güterströmeheranzurücken und die entsprechende Transparenz zu schaffen. Dies bedeutet neben den entsprechenden Führungssystemen immer auch wieder organisatorischen Überblick. Es bedarf entsprechender Regulierungen, welche sicherstellen,daß man künftig mit den Produkten nicht mehr allzusehr von der Realwirtschaft abhebt.

In der Automobilindustrie ist das Zeitalter des immer Größer, Schneller, Komfortabler usw. endgültig vorbei. Es braucht hier eine Neubesinnung auf den eigentlichen Zweck der Fahrzeuge. Sich nämlich möglichst umweltschonend,energiesparend und komfortabel von einem Punkt A zu einem Punkt B zu bewegen.

Aber auch die jeweiligen Wirtschaftsregionen werden eine neue Ausgangslage für den wirtschaftlichen Restart nach der Krise vorfinden. Währenddem sich für die Wirtschaftsregionen Asien undOzeanien , Lateinamerika, Afrika und den Nahen Osten kein eigentliches unternehmerisches Reengineering aufdrängt, sieht dies für Europa, Nordamerika und Japan anders auf.

Ganz anders präsentiert sich die Situation in den hochentwickelten Volkswirtschaften Europas, der USA und Japans. Neben dem Niveau der Lohn- und Nebenkosten befindet man sich in einem gesellschaftlichen Umfeld mitVersorgungsbetrieben im Bereich Soziales und Gesundheit, welche uns praktisch dazu zwingen, weiterhin ein entsprechendes Wirtschaftswachstum zu generieren.

Aus der Krise erwachsende Chancen nutzen

Die meisten der heute angewandten Geschäftsmodelle in der Finanzindustrie sowie in der Realwirtschaft sind historisch gewachsen und tragen den Perspektiven der Technologien gemäß demState of the Art nur bedingt Rechnung. Es finden sich strukturelle Konstellationen, welche die Vermittlung von Kapital unter Berücksichtigung der heute mitICT zu schaffenden Transparenz bezüglich Nachfrage und Angebot nur schwer erklären lassen. So lassen sich z.B. mittels Finanzportalen eine Reihe von Bankgeschäften bedeutend effektiver abwickeln.

Auch bei den Akteuren in der Realwirtschaft schwingen die Traditionen oft verhängnisvoll mit und verhindern es, die vorhandenen Potentiale entsprechend auszuschöpfen. Wir brauchen insbesondere in den hochentwickelten Ländern neue Geschäftsmodelle als Wachstumstreiber.

Die begangenen Versäumnisse bezüglich der Optimierung der vorhandenen Geschäftsmodelle werden es verschiedenen Branchen schwer machen, sich entsprechend schnell von den erlittenen Einbrüchen als Folge von der Finanzkrise zu erholen. Dazu gehören die Medienindustrie, die Automobilindustrie mit ihrenZulieferbetrieben, Informatik- und Telekommunternehmen, Logistikunternehmen, Groß- und Einzelhandel und die Services der öffentlichen Hand.

Sie alle werden sich unter Berücksichtigung der über Jahre gedämpften Nachfrage bemühen müssen, ihre Services und Produkte möglichstkundenorientiert und vor allem effizient erstellen zu können. Die von der Finanzkrise auf die Realwirtschaft ausfließenden Schockwellen stellen einen idealen Zeitpunkt dar, um schon längst überfällige Korrekturen am Geschäftsmodell anzubringen. In vielen Fällen wird das eine Abrundung der Angebotspaletten, neue Services, mehr Kundennähe usw. bedeuten.

Das Marketing bedient sich immer mehr und konsequenter multimedialer Services. So lassen sich bestehende Produkte durch die geschickte Kombination multimedialerBeratungs- und Betreuungssysteme rund um die Uhr nutzen und damit wertschöpfungsintensiver gestalten. Es wird ein neuer Mehrwert geschaffen. Im Distributionsbereich lassen sich neue Kombinationen aus elektronischem Katalog, personalisierten Katalogen und Druckschriften, Mustershops zur realen Besichtigung der Ware in Kombination mit Multimedia-Kiosken usw. realisieren.

Im Bereich der Führung und Organisation ergeben sich in verschiedener Hinsicht neue Anforderungen und Perspektiven.

  • Prozeßorientierte Führungssysteme lassen sich konsequent auf allen Prozeß- und Führungsebenen unter Einschluß der Aufsichtsorgane umsetzen.
  • In und mit den multimedialen Führungssystemen lassen sich die erforderlichen Anweisungen sachlich umfassend und erschöpfend an die zuständigen Stellen kommunizieren.
  • Die Entscheidungen erfolgen vor dem Hintergrund einer umfassenden Informationsransparenz sachlicher. Die Hierarchien werden von der Grundtendenz her flacher.
Die Glieder der Wertschöpfungskette können neu verknüpft werden. Bisher gut honorierte Kommunikationsfunktionen werden wertlos, andere schrumpfen in einem so beängstigenden Ausmaß, daß nur mit drastischen Kostensenkungen geantwortet werden kann.

Der Spielraum für Effizienz- und Qualitätssteigerungen ist im Zusammenhang mit den Diensten groß. Die optimale Größe einzelner Unternehmenseinheiten gerät vermehrt in den Fokus der wirtschaftlichen Betrachtung. Die durch die multimedialen Dienste neu geschaffene Transparenz ermöglicht es relativ kleinen unternehmerischen Einheiten erfolgreich in Geschäfte einzusteigen, die bisher der erforderlichen Infrastruktur wegen fast ausschließlich größeren Gebilden mit einem entsprechenden Infrastrukturumfeld vorbehalten waren.

Die weitergehenden Möglichkeiten der interaktiven Technologien erfordern vom Management:
  • eine vorurteilslose globale Sicht- und Denkweise,
  • ein prozeßorientierte Denken und Handeln,
  • den Aufbau von herausragenden Fähigkeiten und damit die Konzentration auf Kernkompetenzen,
  • das zunehmende Bewußtsein im Unternehmen für den Stellenwert des Wissensmanagements sowie dem Unternehmen als lernendes System ganz generell.
Die wirtschaftspolitischen Konsequenzen

Die multimedialen Dienste können in der Nach-Krisen-Ära ein Instrument darstellen, um die von Europa während Jahrhunderten eingenommene und in den letzten Jahrzehnten verlorene Führungsposition in kultureller, sozialer und technologischer Hinsicht zurückzugewinnen. Abhängen wird dies von
  • der Bereitschaft zum Wandel generell,
  • den vorhandenen wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen,
  • der Initiative und Bereitschaft zur Schaffung eines zeitgemäßen Ausbildungssystems,
  • den unternehmerischen Tugenden
  • und genügend Starthilfen für neu zu gründende Unternehmen.
Die gesamte Dokumentation im Umfang von 96 Seiten kann auch unter www.wdpmc.ch/docuFachinfo/Krisenmanagement.pdf heruntergeladen werden

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